Filmkritik: Mission: Impossible – The Final Reckoning (#296)
Es ist allzu einfach, einen Epospfropfen in solch selbstauferlegter Not, ein breites Publikum zu finden, als gefühlsduselige Plattitüde, deren zaghafte Annäherungen an Intertextualität dem Fanservice unterzuordnen sind und dessen Handlungsgewand dermaßen dünn gestrickt ist, dass es selbst ohne Barrel-Roll über der südafrikanischen Steppe eine die Welt umspannende McGuffin-Jagd (McGuffin in seiner Bedeutung, dass die Begierdenwürdigkeit einzig aus der Benennung ihrer hervorgeht) in höchsten Staatskreisen als Kernhandlung entblößt, abzustempeln.
Doch muss selbst ein filmerprobter Geist, dem das handlungskeimende Aufschnappen der dem Zeitgeist als Quell zugrundeliegenden Ideen und Einfangen derer in ihrer unscharfen Gestalt an der Membran eben jenes Zeitgeists alles andere als neu sein dürfte, bei der Darstellung des Antagonisten stutzen: Eingeführt im ersten Teil nicht alle Mühe des Abdunkelns scheuend als Schatten, bekommt der Antagonist im zweiten ein freiheitsgradarmes Gesicht. Der etwas zerfledderte, große blaue Kreis weiß alles, hat in seinem Terminkalender die Zerstörung der Menschheit stehen und ist trotz plakativem Exposé, er könnte sein Informationsmonopol zu manipulativen Zwecken an auf der Erde uneingeschränkt wandelnden Menschen nutzen, allergisch gegen Vintage, sein Siegfried-Kreuzchen.
Sind Attribute des großen blauen Kreises einfallsloser als die immergleiche Atombombe zu jedem Katakombentreffen mitzubringen, entpuppt sich eine sich auf den Protagonistenbeschreibungen stützende Interpretation als sorglos.
Betrachtet man jedoch den stringent durchgehaltenen roten Faden einer Inszenierung des kalten Krieges ohne Mauerfall gekoppelt mit den nicht von der Hand zu weisend missglückenden Versuchen, dem Antagonisten eine physische Form zu schenken (die Bedeutung des in der Sewastopol schlummernden Datensatzes als Reflections on Trusting Trust-Anspielung (Turing-Award-Vorlesung 1984 [T84]) und den gülden-gelben 5D-Quader als bildliche Darstellung von Homoikonizität zu deuten sind dennoch anregend), verhärtet sich der Verdacht, die Entität sollte in ihren vielfacettierten Auftritten und Visionen verschiedener Perspektiven als metaphorischer Einblick in die Ängste und Beweggründe der Handelnden in einer informationsarmen und als gefährlich empfundenen Welt gedeutet werden.
In dieser Lesart durchwandert der Film eine Metamorphose hin zu einem Polit-Thriller, in dem Feld-Agenten, Militärs und Frau Präsident ohne zu viel ihres Wissensschatzes zu teilen den Slalom der Diplomatie fahren.
Schenkt man dem Film eine solche wohlwollende Lesart und ignoriert man seine krude, anachronistische Umdeutung der Hasenpfote sowie seine verwirrt-deterministische Deutung des Fatums, so schafft man genug Geröll beiseite, um sich an den dem Epos emblematischen Laufszenen und dem in regelmäßigen Abständen eingeworfenen Französisch mit authentischem Schwa-Wegfall zu erquicken.
Ich beziehe mich hier auf die deutsche Kinofassung, wie sie vergangenen Donnerstagabend im Kino Blaue Brücke in Tübingen lief. Ihr vorangestellt ist eine das Kino lobende Nachricht des Primärproduzenten, deutsch untertitelt. Die durch den Film verteilten französischen Interjektionen sind ebenfalls deutsch untertitelt.
[T84] Ken Thompson: „Reflections on Trusting Trust“. Communications of the ACM, Bd. 27, Nr. 8, S. 761—763. August 1984. Online: https://